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Die Wirtschaft der Zukunft aufbauen

01.07.2011
Die Japaner gründeten die Bank of Taiwan im Jahre 1899. Das Vermächtnis der japanischen Kolonialzeit umfasst zudem den Bau von Eisenbahnen und die Mechanisierung der Zuckerverarbeitung. (Foto: Chang Su-ching)
Nachdem Taiwans Wirtschaft im Jahre 2009 wegen der jüngsten Rezession der Weltwirtschaft um 1,93 Prozent geschrumpft war, erholte das Land sich im Jahr darauf und verzeichnete ein Wachstum 10,82 Prozent. Zwar ist es normal, wenn Volkswirtschaften nach schweren Rezessionen erneut wachsen, weil das Vertrauen der Verbraucher und Investoren wiederhergestellt wird, doch Taiwans Konjunktur nach der Krise war eine der stärksten weltweit. Dass Taiwans Wirtschaft wieder auf die Beine gekommen ist, lässt sich auch an Daten im 2010 World Competitiveness Yearbook ablesen, das vom International Institute for Management Development (IMD) im schweizerischen Lausanne herausgegeben wurde. Das Jahrbuch stufte Taiwans Wettbewerbsfähigkeit unter den 58 größten Volkswirtschaften der Erde auf Rang 8 ein — das erste Mal, dass das Land unter die ersten 10 gekommen war, seit das IMD die jährliche Liste 1989 erstmals erstellte.

Zwar erregt Taiwans robuste Erholung von der Rezession in diesen Tagen Aufmerksamkeit, doch der wirtschaftliche Aufstieg der vergangenen hundert Jahre ist sogar noch eindrucksvoller. Ein Teil der Grundlagen für Taiwans heutigen ökonomischen Status kann man bis zur japanischen Kolonialzeit (1895-1945) zurückverfolgen. „Der sichtbarste Beitrag der Japaner war der Bau von Infrastruktur“, sagt Chen Tsu-yu, Wissenschaftlerin am Institut für moderne Geschichte der Academia Sinica. „Die Fertigstellung der Eisenbahn-Hauptlinien im Westteil Taiwans [durch die japanische Kolonialverwaltung] im Jahre 1908 war von besonderer Bedeutung.“

Man sollte die Japaner zudem dafür loben, dass sie auf Taiwan Finanzinstitutionen gründeten. Die Bank of Taiwan, das größte Geldinstitut des Landes, war 1899 von der Kolonialverwaltung gegründet worden, gefolgt von mehreren anderen Einrichtungen, die heute noch existieren.

Gleichzeitig führten die Japaner neue Techniken ein, um die Qualität und Quantität landwirtschaftlicher Anbauprodukte und industrieller Erzeugnisse zu verbessern. Chen verweist auf das Beispiel der Zuckerproduktion, dem ertragsreichsten Wirtschaftssektor unter japanischer Herrschaft. „Zuvor hatten die Taiwaner kleine Zucker-Raffinerien betrieben, die sich sehr stark auf körperliche Arbeit stützten“, verrät sie. „Die Japaner errichteten viel größere Fabriken, in denen Maschinen zum Einsatz kamen.“

Allerdings sollte man bei dieser Betrachtung nach Chens Meinung keinesfalls außer Acht lassen, dass die Japaner Taiwans Infrastruktur und Wirtschaft ausbauten, um ihre kolonialen Ziele zu erreichen. Ein großer Teil des Zuckers wurde nach Japan verschifft, ebenso andere Güter wie Salz. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Chinesisch-Japanische Krieg ab den dreißiger Jahren, als Japan Taiwan als Fertigungsbasis für Rohmaterialien wie Aluminium zu militärischen Zwecken benutzte.

Nach der Kapitulation Japans am Ende des Zweiten Weltkrieges zog sich die Regierung der Republik China 1949 nach Taiwan zurück. Zu einem gewissen Grad half die von den Japanern zurückgelassene physische und finanzielle Infrastruktur der von der Nationalen Volkspartei (Kuomintang, KMT) geführten Regierung der Republik China dabei, die von ihnen angestrebte Industrialisierung der Insel voranzutreiben. „Andererseits darf man der KMT-Regierung gutschreiben, dass sie eine Gruppe von Elite-Technokraten nach Taiwan mitbrachte, welche die durch den Abzug der Japaner entstandene Lücke füllten“, so Chen.

Dank eines zu Beginn der fünfziger Jahre gestarteten Landreformprogramms erhöhte sich die Bereitschaft von Kleinbauern, das Land zu bestellen, so dass sich Taiwans landwirtschaftliche Produktion qualitativ und quantitativ verbesserte. (Foto: Chang Su-ching)

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges befand Taiwan sich nach Darstellung von Wang Chien-chuan, Vizepräsident des Chunghua-Instituts für Wirtschaftsforschung (Chung-Hua Institution for Economic Research, CIER), in einem überaus beklagenswerten Zustand. „Niemand in der Welt hätte gedacht, dass Taiwan die Not der Nachkriegszeit überstehen würde“, behauptet er und meint damit den kostspieligen Wiederaufbau jener Epoche, den drohenden Konflikt mit dem kommunistisch regierten Festlandchina, die hohe Inflation und die prekäre Lage des Staatshaushalts. „Viele glaubten, Taiwan würde bald in die Hände der Kommunisten fallen.“

Die Krise zwang das Land indes nicht in die Knie, sondern erhöhte seine Belastbarkeit. Die 2,97 Millionen taels (schätzungsweise 111,375 Tonnen) Gold, welche die Regierung der Republik China um 1949 von Shanghai nach Taiwan transportiert hatte, spielten in diesen anfälligen Jahren gleichfalls eine stabilisierende Rolle, urteilt Liu Wei-kai, Professor für moderne chinesische Geschichte an der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh. Das Gold wurde in erster Linie dazu verwendet, im Juni 1949 die erste Ausgabe der neuen Währung „New Taiwan Dollar“ (NT$) zu decken, außerdem nahm man sich damit der Bedürfnisse der Streitkräfte an und bezahlte die Beamtenschaft, klärt Liu auf.

Die Vereinigten Staaten leisteten Taiwan ab 1951 finanzielle Hilfe, als das Land dem einschüchternden Säbelrasseln der kommunistischen Rivalen auf der anderen Seite der Taiwanstraße gegenüberstand. Das Hilfsprogramm mit einem jährlichen Umfang von etwa 100 Millionen US$ lief bis 1965. 1952 unterzeichneten die Regierung der Republik China und die US-Regierung ein Investitionsschutzabkommen. Zwei Jahre später kündigte die Republik China eine Reihe von Investitionsbestimmungen an, welche Investitionen aus dem Ausland ermuntern sollte. „Die USA ermutigten überdies damals ihre Unternehmen, in Taiwan zu investieren“, weiß Huang Deng-shing, Wissenschaftler am Wirtschaftsinstitut der Academia Sinica.

Im Bereich Landwirtschaft erreichte Taiwan dank der um 1950 in Angriff genommenen Landreform-Politik Stabilität und Wachstum. Im Rahmen dieser Politik enteignete die Regierung die Ländereien von Großgrundbesitzern und übergab Kleinbauern Landparzellen. Laut Huang erhöhte der Landbesitz im großen Maße die Bereitschaft der Bauern, das Land zu bestellen, und so wurde die verstärkte Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse angeregt. „Taiwans Bauern wurden überdies dazu motiviert, Untersuchungen darüber anzustellen, wie die Qualität ihrer Anbauprodukte verbessert werden könnte“, ergänzt Huang.

Taiwans Exporte von Agrargütern, Textilien und Verbraucherelektronik erhielten deutlichen Auftrieb, als 1966 Taiwans erste Exportverarbeitungszone im südtaiwanischen Kaohsiung eingerichtet wurde. „Sowohl Südkorea als auch Taiwan gründeten etwa zum gleichen Zeitpunkt solche Zonen“, fährt Huang fort. „Später sahen Akademiker Taiwans und Südkoreas Zonen als Vorbilder für sich entwickelnde Volkswirtschaften an.“

Mit der wachsenden Zahl von Exportbestellungen stieg auch der Bedarf an Facharbeitern. Dieser Bedarf wurde zum Teil gedeckt, als die Regierung im Jahre 1968 die Pflichtschulzeit von sechs auf neun Jahre erhöhte. „Internationale Unternehmen konnten zusammen mit ihren Technologien das Wachstum einheimischer Firmen zu einem gewissen Grad anregen, aber das Wachstum hing auch vom Bildungsstand der Menschen ab“, sinniert Huang. „Ausländische Unternehmen investierten zudem in anderen Entwicklungsländern, doch trug das dort nicht zur Entstehung eines Wirtschaftswunders bei wie in Taiwan. Der Schlüsselfaktor war die Erhöhung des Bildungsniveaus.“

Halbleiterproduktion beim taiwanischen Unternehmen TSMC, das 1987 von der Regierung gegründet wurde. Im Laufe der Zeit wurde TSMC der größte Halbleiterhersteller der Erde. (Foto: Courtesy TSMC)

In den siebziger Jahren stieß man auf einen Engpass, der die Wirtschaftsentwicklung einschänkte, als die Infrastruktur des Landes an die Grenzen ihrer Auslastung gelangte. Deswegen schlug der damalige Premierminister Chiang Ching-kuo (蔣經國) die Zehn Großen Bauprojekte vor. Bei sechs dieser Projekte ging es um den Bau von Autobahnen, Eisenbahnen und Infrastruktur für See- und Luftverkehr, die anderen hatten mit Schiffbau, Aufarbeitung von Mineralöl, Stahlerzeugung und Stromgewinnung zu tun. Die Arbeiten begannen Anfang der siebziger Jahre, und gegen Ende des Jahrzehnts waren die meisten Projekte abgeschlossen. Durch die Entwicklung des Verkehrswesens, der Strom- und Stahlerzeugung legte die Regierung eine solide Grundlage für eine zunehmend exportorientierte Volkswirtschaft.

Technologie fördern

Unterdessen arbeitete die Regierung auch daran, Hightech-Industrien zu fördern. Eine der Hauptfiguren bei diesen Bemühungen war Sun Yun-suan (孫運璿, 1913-2006), der 1969 bis 1978 das Amt des Wirtschaftsministers bekleidete und 1978 bis 1984 als Premierminister diente. Sun wurde dafür bekannt, dass er sich für die Gründung des staatlich geförderten Forschungsinstituts für industrielle Technologie (Industrial Technology Research Institute, ITRI) einsetzte, das seit seiner Entstehung 1973 eine gewichtige Rolle bei vielen von Taiwans technologischen Weiterentwicklungen spielte. Eine andere bedeutende Persönlichkeit war K. T. Lee (李國鼎, 1910-2001), 1965-1969 Wirtschaftsminister und 1969-1976 Finanzminister der Republik China. Lee war ein Hauptfaktor hinter der Gründung der Beratergruppe Wissenschaft und Technologie (Science and Technology Advisory Group, STAG) im Exekutiv-Yuan (行政院), also dem Regierungskabinett oder Ministerrat des Landes, und leitete das Gremium von 1979 bis 1988.

Sun und Lee wirkten überdies gemeinsam bei der Einrichtung des Wissenschaftsparks Hsinchu in Nordtaiwan mit. Der Park nahm im Dezember 1980 den Betrieb auf und begünstigte die Entstehung globaler Größen bei Informationstechnologie wie United Microelectronics Corp. (UMC) im gleichen Jahr und Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. Ltd. (TSMC) im Jahre 1987. Mit Hilfe von ITRI sind die beiden Unternehmen zwei der größten Hersteller integrierter Schaltkreis-Chips der Welt geworden.

Teilweise aufgrund der Bemühungen, Taiwan als Hightech-Produktionszentrum neu zu definieren, erreichte das Wirtschaftswachstum zwischen 1963 und 1980 im Schnitt 10 Prozent, zwischen 1952 und 1962 hatte der Mittelwert 7,93 Prozent betragen. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt schnellte von 2385 US$ im Jahre 1980 auf 8124 US$ zehn Jahre später in die Höhe, 2000 betrug es gar 14 704 US$ und im vergangenen Jahr 18 603 US$. In den achtziger Jahren lag das durchschnittliche Wirtschaftswachstum bei 7,8 Prozent, doch mit dem Heranreifen der Wirtschaft verlangsamte sich auch ihr Wachstum, das in den neunziger Jahren auf 6,4 Prozent und im Jahrzehnt nach 2000 auf 4,5 Prozent zurückging.

Der Wandel und das Wachstum der Volkswirtschaft wirkten sich jedoch außerordentlich abträglich auf die Umwelt aus. Ein Beispiel dafür war die RCA Corp., die ab 1967 in Taiwan produzierte. Das Unternehmen, dessen Zentrale sich damals in den USA befand, spielte mit Technologietransfer und Schaffung von Arbeitsplätzen eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Taiwans Hightech-Sektor. Huang von der Academia Sinica weist allerdings auf die von RCAs Betrieben in Taiwan verursachte Umweltverschmutzung hin, vor allem durch die Fabrik im nordtaiwanischen Taoyuan. Den meisten Taiwanern war nicht bewusst, dass die Firma den Boden und das Grundwasser verseuchte, indem sie erhebliche Mengen ungefilterte toxische Abwässer abließ. 1992 schloss die RCA Corp. ihre taiwanischen Betriebe, von ihren Umweltsünden erfuhr die Öffentlichkeit indes erst 1994, als ein Parlamentsabgeordneter das Ausmaß der Verschmutzung enthüllte.

RCA wurde für die Umweltkatastrophe zur Rechenschaft gezogen, die Aufarbeitung des verseuchten Bodens wurde mittlerweile abgeschlossen, und nun wurde das kompliziertere Problem des verunreinigten Grundwassers in Angriff genommen. Gleichzeitig arbeitet die Regierung an einem Plan, Entschädigung von RCA zu verlangen.

Luxus-Wohntürme in Taipeh. Taiwans Wirtschaftswachstum ging mit Begleiterscheinungen einher wie einer wachsenden Diskrepanz bei der Wohlstandsverteilung. (Foto: Huang Chung-hsin)

In ähnlicher Weise erbrachte Taiwans Schiffs-Abwrackgewerbe, das bis Mitte der achtziger Jahre in Südtaiwan blühte, stattliche finanzielle Gewinne, fügte laut Huang, der Anfang der achtziger Jahre als Teilzeitkraft in dem Sektor beschäftigt war, der Ökologie aber auch große Schäden zu. So können unter anderem durch die Verschrottung alter Schiffe Ölrückstände ins Meer gelangen, und bei der Verbrennung kunststoffummantelter Kabel entstehen toxische Abgase. Das zunehmende Umweltbewusstsein in der Öffentlichkeit und die Gründung der Umweltschutzverwaltung (Environmental Protection Administration, EPA), einer Behörde in Ministeriumsrang, im Jahre 1987 führten seitdem nach und nach zu einem Niedergang des Abwrack-Gewerbes in Taiwan.

Jüngere Umweltsorgen im Zusammenhang mit Industrie drehen sich um das Potenzial von Treibhausgas-Emissionen, Klimawandel zu verursachen. Zwar hat die Regierung ehrgeizige Ziele für die Verminderung solcher Emissionen festgelegt, doch Huang rät zu größeren Veränderungen wie den schrittweisen Abbau der Abhängigkeit der Volkswirtschaft von der petrochemischen Industrie. Petrochemische Fabriken wurden ab den siebziger Jahren auf der Insel errichtet, doch der Bau neuer Anlagen stieß in den jüngsten Jahren wegen Befürchtungen über Luftverunreinigungen durch flüchtige organische Verbindungen und Kohlendioxid auf stärkeren Widerstand.

Die Regierung hat wiederum Maßnahmen ergriffen, Taiwan weg von umweltverschmutzenden, einen hohen Schadstoffausstoß aufweisenden Industrien hin zu Industrien zu dirigieren, die Vorteile für die Umwelt bieten. Im März 2009 zum Beispiel kündigte der Exekutiv-Yuan eine Politik für die Entwicklung von sechs aufstrebenden Schlüsselbranchen an. Eine davon ist der so genannte „Grüne Energie“-Sektor, zu welchem die Herstellung von Photovoltaik-Solarzellen gehört, mit denen aus Sonnenlicht Elektrizität erzeugt wird, und daneben der Sektor Leuchtdioden (Light-emitting Diodes, LED), weil LEDs weniger Strom verbrauchen als andere Lichtquellen. Überdies zielt die Politik auf die Entwicklung von kulturellen und kreativen Gewerben ab, was sich in erster Linie um die Schaffung geistigen Eigentums dreht und daher wenig Verschmutzung oder Treibhausgas-Emissionen zur Folge hat. Im März vergangenen Jahres ergänzte der Exekutiv-Yuan die Liste der Branchen, die gefördert werden sollen, um grüne Architektur, Kommerzialisierung von Patenten, Elektrofahrzeuge und Cloud Computing, die samt und sonders vergleichsweise unschädlich oder gut für die Umwelt sind.

Gemeinsam mit der zunehmenden Betonung von Umweltschutz ist ein weiterer wichtiger Trend die Entwicklung von engeren Wirtschaftsbeziehungen mit Festlandchina seit Ende der achtziger Jahre. Auf der Suche nach erschwinglicheren Personal- und Grundstücksressourcen machten taiwanische Hersteller in mehreren Wellen rüber. Im Jahr 2000 investierten taiwanische Geschäftsleute auf dem Festland 2,6 Milliarden US$, im vergangenen Jahr waren es mehr als 14 Milliarden US$. In jenem Zeitraum stieg der Wert von Exporten aus Taiwan nach Festlandchina und Hongkong von 35,5 Milliarden US$ auf 114,7 Milliarden US$.

Vor nur wenigen Jahren stand Taiwan bei der Entwicklung vollerer Wirtschaftsbeziehungen mit seinem nächsten Nachbarn noch sperrigen Hindernissen gegenüber. Bestimmungen der Regierung der Republik China verfügten beispielsweise, dass Taiwaner nur nach einem Zwischenstopp in einem Drittland oder –territorium nach Festlandchina reisen durften, was die Reisezeit für Geschäftsleute von hüben nach drüben beträchtlich verlängerte. Frachtschiffe zwischen beiden Seiten waren mit den gleichen Beschränkungen konfrontiert, was höhere Transportkosten zur Folge hatte. Gleichzeitig blieb den meisten festlandchinesischen Touristen wegen einer staatlichen Vorschrift die Einreise nach Taiwan verwehrt.

Solcherlei Hindernisse blieben in Kraft, bis Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) im Mai 2008 in sein Amt eingeführt wurde und eine Politik der erneuten Einbindung des chinesischen Festlandes umzusetzen begann. Heute können Geschäftsleute zeitsparende Direktflüge zwischen taiwanischen Flughäfen und 40 Städten auf dem chinesischen Festland nehmen.

Seit Juli 2008 sind zudem festlandchinesische Reisegruppen in Taiwan zugelassen. Im vergangenen Jahr besuchten gut 1,6 Millionen Festlandchinesen die Insel, womit erstmals die Zahl der japanischen Touristen übertroffen wurde. Die Besucher von drüben führten nach Auskunft des taiwanischen Reisebüroverbandes der Volkswirtschaft des Landes mindestens 60 Milliarden NT$ (1,46 Milliarden Euro) zu. Seit dem 22. Juni dieses Jahres ist auch Einzelreisenden vom Festland die Einreise in Taiwan gestattet.

Das Rahmenabkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECFA) wurde Ende Juni 2010 von Taiwans Vertreter Chiang Pin-kung (links) und seinem festlandchinesischen Kollegen Chen Yunlin unterzeichnet. (Foto: Central News Agency)

Gewichtige Investitionen

Die steigende Zahl festlandchinesischer Besucher trägt nebenbei zur Verbesserung der Fremdenverkehrs-Infrastruktur auf der Insel bei. „Deswegen haben Restaurants und Hotels in Taiwan massive Investitionen für Renovierungen und Expansionen begonnen“, weiß Wang Chien-chuan vom CIER.

Umgekehrt dehnen taiwanische Dienstleistungsbetriebe ihre Aktivitäten auf das chinesische Festland aus. Laut der Investitionskommission im Wirtschaftsministerium machte Taiwans Dienstleistungsbereich im vergangenen Jahr 24,87 Prozent aller taiwanischen Investitionen auf dem Festland aus, 2005 hatte der Wert noch 10,85 Prozent betragen. Zwar fließt auf diese Weise Kapital ab, doch zielt das darauf ab, den taiwanischen Dienstleistungsbetreibern dabei zu helfen, auf dem riesigen festlandchinesischen Markt zu konkurrieren. Laut Wang werden sie, wenn sie das Festland weiter erkunden, ihren Umfang und Innovationen erweitern müssen, was hilfreich dabei sein wird, ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Projekte, welches Ma Ying-jeous Regierung verfolgte, war natürlich das Rahmenabkommen für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Framework Agreement, ECFA), das Ende Juni 2010 von taiwanischen und festlandchinesischen Repräsentanten unterzeichnet wurde und zum Ziel hat, Warenzölle zu senken und den Marktzugang für Dienstleistungen zu erweitern. „ECFA wird Taiwans wirtschaftlicher Vitalität großen Schub geben, auch wenn es eine Weile dauern wird, bis wir greifbare Ergebnisse sehen können“, versichert Wang.

Während die Unterzeichnung von ECFA verhindern wird, dass Taiwan in der regionalen Wirtschaft an den Rand geschoben wird, ergeben sich durch das Abkommen indes mehrere mittel- und langfristige Herausforderungen. Momentan wird einheimischen Herstellern mit staatlichen Zuschüssen geholfen, gegen die Billigkonkurrenz vom Festland anzukämpfen, doch taiwanische Firmen, denen es nicht gelingt, ihre Geschäftsmodelle aufzupolieren, werden am Ende vom Markt gedrängt werden. Obwohl Präsident Ma wiederholt bekräftigt hat, dass ECFA ein rein wirtschaftliches Abkommen ist, gibt es auch Befürchtungen, Taiwans zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit vom Festland könne eines Tages eine Schädigung der politischen Souveränität zur Folge haben. „Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob ECFA Taiwan wirklich Vorteile bringt“, sinniert Huang, fügt aber hinzu, der Trend zu engeren Verbindungen mit dem Festland sei unvermeidlich, zumindest auf nähere und mittlere Sicht.

Gleichzeitig meint Wang, die größte wirtschaftliche Herausforderung, der die Regierung der Republik China gegenüberstehe, manifestiere sich nicht auf dem Schauplatz der Beziehungen über die Taiwanstraße, sondern in der sich vergrößernden Kluft zwischen Arm und Reich. Er bezieht sich damit auf den Umstand, dass das verfügbare Durchschnittseinkommen der oberen 20 Prozent von Taiwans Haushalten in den siebziger Jahren etwas mehr als vier Mal so hoch war wie vom unteren Fünftel, kurz nach der Jahrtausendwende hatte sich der Unterschied auf mehr als das Sechsfache vergrößert. Die Regierung ist sich des Problems der Einkommensunterschiede bewusst und hat begonnen, die Angelegenheit anzupacken. Im Dezember vergangenen Jahres etwa verabschiedete der Legislativ-Yuan (立法院), also das Parlament der Republik China, eine Revision des Sozialbeistands-Gesetzes, wodurch mehr wirtschaftlich benachteiligte Familien staatliche Hilfe beantragen können. Zum Beispiel steht derzeit Hilfe bereit für Haushalte mit niedrigem Einkommen außerhalb von Taiwans fünf regierungsunmittelbaren Städten, in denen jedes Mitglied im Schnitt monatlich 9829 NT$ (239,73 Euro) oder weniger verdient. Nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli dieses Jahres wird diese Durchschnittseinkommen-Schwelle auf 10 244 NT$ (249,85 Euro) im Monat angehoben. Laut Innenministerium werden dadurch über 600 000 mehr Menschen in den Genuss von staatlicher Hilfe kommen.

Eine andere Maßnahme, von welcher man sich eine Minderung der Einkommensunterschiede verspricht, ist die anstehende Verabschiedung von Bestimmungen, welche unter anderem eine Luxussteuer auf Wohnobjekte, die in kurzer Zeit gekauft und wieder verkauft wurden, erheben sollen. Ein Entwurf war im März dieses Jahres in erster Lesung vom Legislativ-Yuan gebilligt worden. Falls es im Parlament keine weiteren Verzögerungen gibt, soll die neue Steuer in diesem Sommer in Kraft treten und den anhaltenden Anstieg der Wohnraumpreise, durch den ein Eigenheim für viele potenzielle Käufer unerschwinglich wird, bremsen. Die Luxussteuer ist besonders auf kurzfristige Eigentums-Kauftransaktionen von Immobilien-Spekulanten ausgerichtet, welche die Preise in die Höhe treiben, aber nur wenige neue Besitzer schaffen. „Das ist eine gute Sache“, lobt Wang. „Die Regierung kann bei der Steuerreform aber noch mehr tun, etwa höhere Einkommenssteuern für die Reichen, um die Finanzhilfen für die Armen abzudecken.“

Wie viele andere Länder muss Taiwan ebenfalls die Wirtschaftsentwicklung mit Umweltschutz in Einklang bringen und Einkommensunterschiede im Inland reduzieren. Außerdem gilt es die Aufgabe zu meistern, für beide Seiten vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen mit dem chinesischen Festland zu entwickeln. Durch einen achtsamen Umgang mit diesen Herausforderungen wird Taiwans Wirtschaft weiter auf eine Weise wachsen, welche allen Mitgliedern der Gesellschaft nützt.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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